Negativ-Zahlen der Branche nehmen kein Ende

Seit 17 Jahren analysiert Marcus Jacoangeli alle Zahlen rund um die Textil- und Modeindustrie. Was er seit zwei Jahren erlebt, hat es vorher so noch nicht gegeben.

13.12.2024

Erfolgs- und Traditionsfirmen gehen am Standort Deutschland reihenweise in die Knie. Die Zahl der Gewerbeabmeldungen in der Branche nimmt stetig zu, weil die Produktion von Textilien am Standort Deutschland einfach zu teuer ist. Jetzt hilft nur noch ein beherztes Umsteuern in der Wirtschafts- und Standortpolitik. Wir sprachen mit Marcus Jacoangeli; Konjunkturexperte beim Gesamtverband textil+mode.

 

textil+mode: Wie bewerten Sie die aktuelle konjunkturelle Lage der Branche?

Marcus Jacoangeli: Die neusten Konjunkturdaten der Branche geben weiter keinen Grund zur Hoffnung – im Gegenteil. Zum Ende des dritten Quartals sind die Umsätze in der Textil- und Modeindustrie im Vergleich zum Vorjahreszeitraum mit minus 4,8 Prozent weiter gesunken. Auch die Anzahl der Betriebe geht im Vorjahresvergleich unvermindert zurück: bei Textil um minus 3,7 Prozent, bei Bekleidung um minus 7,7 Prozent. Entsprechend sinkt die Zahl der Beschäftigten: Per Ende September bei Textil um minus 5,1 Prozent, bei Bekleidung um minus 2,1 Prozent im Vorjahresvergleich.

textil+mode: In der Vergangenheit konnte die Branche schwache Inlandszahlen oft mit starken Exportzahlen ausgleichen. 40 Prozent ihrer Umsätze erwirtschaftete die Textil- und Modeindustrie in der Vergangenheit im Export. Wie sind die Zahlen im Außenhandel?

Marcus Jacoangeli: Leider bleiben die Export-Zahlen auch zum Ende des dritten Quartals hinter dem Vorjahr zurück: minus 7,2 Prozent bei Textil, minus 1,6 Prozent bei Bekleidung. Damit exportierte die Branche 2024 insgesamt bisher 3,4 Prozent weniger.  Diese anhaltende Schwäche beim Export zeigt, dass sich die Krise verfestigt hat.

textil+mode: Wo sehen Sie die Gründe?

Marcus Jacoangeli: Unsere Unternehmen können nicht mehr wettbewerbsfähig am Standort Deutschland produzieren. Das hängt vor allem an den Energiepreisen. Wenn Sie am Standort Deutschland für Strom und Gas zwei bis drei Mal mehr bezahlen als ihre Mitbewerber in Europa oder noch viel mehr in den USA , sind Sie nicht mehr konkurrenzfähig. Hinzu kommt die Krise bei den deutschen Autobauern. Von Autositzen bis Airbags – unsere Branche gehört zur klassischen Zulieferindustrie. Werkschließungen und Massenentlassungen in der Automobilindustrie lösen einen Dominoeffekt auch bei uns aus. Massive Kostensteigerungen sind zudem durch die vielen neuen Auflagen und Berichtspflichten entstanden. Dabei ist das Lieferkettengesetz nur einer der vielen Papiertiger, die hohe Kosten ohne überzeugende Wirkung verursachen.

textil+mode: Hat die Branche Hoffnung, vielleicht nach den Neuwahlen wieder Licht am Ende des Tunnels zu sehen?

Marcus Jacoangeli: Dafür müsste eine neue Bundesregierung die Weichen wirklich spürbar anders stellen. Voraussetzung dafür ist aber, dass Parteien die Wahl gewinnen, die nachweislich Wirtschaftskompetenz haben und diese dann auch mit einem klaren Wählervotum umsetzen können. Sie merken schon, da sind eine ganze Menge „wenn, dann“ im Spiel.

textil+mode: Das heißt, 2025 wird noch nicht die Trendwende bringen?

Marcus Jacoangeli: Das wird von vielen Faktoren abhängen: Der Ausgang der Bundestagswahl ist mit Sicherheit ein Faktor, aber auch das Ergebnis der Tarifrunde für die westdeutsche Textil- und Modeindustrie und last but not least, die Frage, wie sich die Stimmung am Standort Deutschland entwickelt. Die derzeitige politische Unsicherheit, national, aber auch international, ist Gift für die Konjunktur. Die Verbraucher geben weniger Geld für Bekleidung und Heimtextilien aus. Als zweitwichtigste Konsumgüterbrache hängen wir unmittelbar am Konsumklima.

textil+mode: Gab es 2024 Zahlen, die Sie auch positiv überrascht haben?

Marcus Jacoangeli: Ja, die gab es durchaus. Wenn Sie sich anschauen, wie viele mittelständische Industriebetriebe auch in unserer Branche in die Produktion eigener Solar- und Windanlagen investieren und die Nachhaltigkeit auch auf vielen anderen Feldern vorantreiben, ist das beachtlich. Nur leider werden wir auf diesem Weg einen langen Atem brauchen und auch aus Irrtümern lernen müssen. Wind und Sonne schicken zwar keine Rechnung für den Netzausbau, es gibt ihn aber dennoch nicht kostenlos. Außerdem fehlen überzeugende Lösungen für die Zeiten, in denen kein Wind weht und keine Sonne scheint.

textil+mode: Wir danken Ihnen für das Gespräch.